Auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Bildungsmesse didacta in Köln sagte die Bremer Senatorin für Kinder und Bildung und amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz „Die Schule der Zukunft wird bunter sein“. Im folgenden Interview erklärt Frau Bogedan, was sie damit meint, wie sich Schule unter den Bedingungen der Digitalisierung ändern muss und wie Politik dabei helfen kann, heutige und zukünftige Herausforderungen im Bildungswesen zu bewältigen.
Liebe Frau Bogedan, der Begriff „digitale Bildung“ wird vielerorts benutzt. Was heißt digitale Bildung für Sie?
Das Lernen in der digitalen Welt bedeutet mehr, als der bloße Umgang mit Tablets und Computern. Die fortschreitende Digitalisierung erfordert Alltags-Kompetenzen, die so wichtig sind wie das Lesen, Schreiben und Rechnen. Kinder und Jugendliche müssen mit dem vernetzten Wissen umgehen können. Dazu gehört beispielsweise der sichere und auch kritische Umgang mit dem Internet, darin enthaltenen Texten, Videos und Links. Es geht aber auch darum, einen Mentalitätswandel in den Schulen herbeizuführen. Dafür muss beispielsweise im Hinblick auf Datenschutzregelungen noch viel geklärt werden. Gleichzeitig bedarf es einer Öffnung der Schulen im Umgang mit Hardware. Das Handyverbot an vielen Schulen ist meines Erachtens zu überdenken.
Warum ist es wichtig, dass Schule sich den digitalen Medien öffnet?
Die multimediale Kompetenz ist eine entscheidende Schlüsselqualifikation in der heutigen Wissens- und Informationsgesellschaft – gerade für junge Menschen. Schule kommt bei der Vermittlung dieses Wissens eine besondere Rolle zu. Kinder und Jugendliche müssen in der Schule das Lernen lernen. Wenn wir heute etwas wissen wollen, rufen wir Wikipedia auf. Schon beim ersten Halbsatz springen wir zu einem Nebenbegriff, weil dieser mit einem Link versehen ist. Dieses Verhalten muss beim Erarbeiten von Wissen berücksichtigt werden. Gleichzeitig haben wir es heute mit einer kürzeren Halbwertszeit von Wissen zu tun.
Inwiefern können digitale Medien dabei helfen, Unterricht zu verbessern?
Da gibt es einige Beispiele. Ich finde Lern-Videos sehr eindrucksvoll. So werden von einigen Bremer Lehrerinnen und Lehrern während der Unterrichtsvorbereitung Videos er- und auf die Lernplattform „itslearning“ gestellt. Kinder und Jugendliche können die anschauliche Erklärung immer wieder abrufen – auch zu Hause. Diese Praxis hilft sehr und kann auch zur Chancengerechtigkeit beitragen.
Wie kann Politik dafür sorgen, dass die vielen praxiserprobten Konzepte im Bereich digitale Bildung, die engagierte Lehrerinnen und Lehrer (und andere Bildungsakteure) entwickelt haben, unterstützt und weiterentwickelt werden?
Politik muss für Rahmenbedingungen sorgen, damit Pädagoginnen und Pädagogen rechtssicher arbeiten können. Wichtig ist aus meiner Sicht die Entwicklung eines Medienplans. In Bremen haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Wenn es um Medienbildung geht, wird häufig nur die technische Ausstattung oder der Umgang mit Medien bedacht, es geht aber natürlich auch um Inhalte. Das heißt, die Bildung in der digitalen Welt muss Teil des Lehrplans sein.
Vielen Schulen fehlt es an grundlegender technischer Infrastruktur (z.B. WLAN), die ja Voraussetzung für den gewinnbringenden Einsatz digitaler Medien ist. Wer bezahlt das?
In Städten schreitet der Ausbau voran. In Bremen stehen dafür unter anderem Mittel aus der Digitalen Dividende zur Verfügung. Auf dem Land sieht das anders aus. In Fragen des Breitband-Ausbaus steht aber auch der Bund in der Pflicht.
Wie schätzen Sie das Potential von digitalen Medien für schulische Inklusion ein?
Das Potenzial ist sehr groß. Alle Kinder – ob mit Handicap oder Hochbegabung – können mittels geeigneter Software entsprechend ihres Lerntempos gefördert werden. Sofortige Erfolgserlebnisse können motivieren. Der Einsatz von digitalen Arbeitsblättern, Übungen und Lernsoftware wird den Pädagogen und die Pädagogin nicht ersetzen, aber er wirkt entlastend. Individuelle Lernverläufe können leichter unterstützt werden.
An vielen Schulen werden Kinder und Jugendliche, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, in so genannten Basis- und Vorbereitungsklassen unterrichtet. Inwiefern können digitale Medien bei der Integration dieser jungen Menschen helfen?
Für die einzelnen Bundesländer kann ich das leider nicht sagen, die Zahl schwankt ständig. In Bremen wurden Ende März 100 Vorkurse an den allgemeinbildenden Schulen und 58 Vorkurse an den berufsbildenden Schulen angeboten. Hinzu kommen 8 Hausbeschulungskurse. Insgesamt werden 2.237 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Im April sind etliche Vorkurse dazu gekommen. Natürlich kann digitales Unterrichtsmaterial helfen, vor allem bei Übersetzungen.
Viele Praktiker wissen um die geringe Aussagekraft von Zensuren. Innovative Unternehmen legen immer weniger Wert auf Noten und Abschlusszeugnisse. Brauchen wir ein neues Bewertungs- und Prüfungssystem an unseren Schulen?
Ich denke, mit unserem derzeitigen System sind wir gut dabei.
Wie schätzen Sie die Bedeutung der so genannten freien Bildungsmaterialien (OER) ein?
Frei zugängliche Lehr- und Lernmaterialien, die von jeder und jedem weitergegeben, weiterentwickelt und geteilt werden können, stärken sowohl die Innovationsfähigkeit als auch die Chancengleichheit. Open Educational Resources (OER) leisten somit einen wichtigen Beitrag zur inhaltlichen Weiterentwicklung unseres Bildungssystems. Gleichwohl müssen wir für die Qualitätssicherung und die Einhaltung curricularer Ziele Sorge tragen.
Damit digitale Bildung an deutschen Schulen gelingt, braucht es kompetente Lehrer*innen. Wie muss sich das Lehreraus- und Weiterbildungssystem im Zeitalter der Digitalisierung ändern?
Jede Lehrkraft muss sich mit der Digitalisierung auseinandersetzen, der Fortbildungsbedarf ist deshalb sehr hoch. Es ist wichtig, sich Gedanken über zeitgemäße Zugänge zum Lernstoff, über didaktische Fragen und über neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung zu machen. Wir müssen mit unseren Aus- und Weiterbildungen darauf reagieren – und tun das auch. Gleichzeitig kann der Einsatz digitaler Bildungsangebote dazu beitragen, die berufsbegleitende Weiterbildung zu fördern und von anderen Lehrkräften zu lernen.
Während einer Podiumsdiskussion bei der didacta in Köln haben Sie gesagt „Die Schule der Zukunft wird bunter sein“. Was genau meinen Sie damit?
Die Lerngruppen sind heute in einigen Städten Deutschlands schon sehr heterogen. Ich finde, das bereichert uns, stellt uns aber auch vor große Herausforderungen. Wir müssen Wege finden, Bildung von Anfang an (ab der Krippe und der Kita) so zu vermitteln, dass kein junger Mensch zurückgelassen wird. Die Vielfalt bei den Schülerinnen und Schülern muss sich dann auch in der Vielfalt der eingesetzten Methoden und Medien wiederspiegeln.
Ich bedanke mich für das Interview.
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Senatorin Dr. Claudia Bogedan
Dr. Claudia Bogedan wurde am 07.04.1975 in Limburg a.d. Lahn geboren. Sie ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in Bremen.
Beruflicher Werdegang:
seit 15.07.2015 |
Senatorin für Kinder und Bildung Freie Hansestadt Bremen |
2011-2015 | Leiterin der Abteilung Forschungsförderung Hans-Böckler-Stiftung |
2009-2011 | Referatsleitung, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut Hans-Böckler-Stiftung |
2007 | Beginn der Tätigkeit für das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut Hans-Böckler-Stiftung |
2003-2007 | Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich „Staatlichkeit im Wandel“ Universität Bremen |
2001-2003 | Geschäftsführerin Politisches Bildungswerk Verein zur Förderung politischen Handelns e.V. |
Politischer Werdegang:
2015-2017 | Mitglied der Landesmedienkommission NRW |
seit 08/2014 | Mitglied des Programmbeirats Digital Leben des SPD-Parteivorstandes |
2012-2016 | Mitglied der Grundwertekommission des SPD-Parteivorstandes |
2010-2015 | Mitglied im Landesvorstand der NRW-SPD |
seit 2002 | Eintritt in die SPD |
Kontakt
Senatorin Dr. Claudia Bogedan
Rembertiring 8-12
28195 Bremen
Sekretariat:
Frau Ines Brauer
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Tel.: 0421 361-6403
E-Mail: VZ-S@bildung.bremen.de
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